L’Anse-au-Loup
Als es hell wird, werden wir von einigen Stimmen geweckt. Ein verschlafener Blick auf die Uhr verrät mir, dass es erst 7 ist. Den Gesprächen nach zu urteilen haben wir am Hafen geparkt. Die Fischer wollen fischen.
Es ist gerade Kabeljau-Fischsaison für den Eigenbedarf.
Nach einer immensen Überfischung verhängte die Regierung 1992 ein Fischereiverbot – 20.000 Fischer wurden schlagartig arbeitslos.* Jetzt dürfen nur noch in der Zeit vom 18. Juli bis 8. August fünf Kabeljau pro Person pro Tag gefischt werden. Das lässt sich hier keiner entgehen.
Mich packt es ebenso! Ich springe aus dem Auto und beginne mit den Fischern zu quatschen. Einige kommen schon wieder zurück, andere wollen länger draußen bleiben. Nach einer Stunde spricht mich ein Fischer an, ob ich nicht zum Kabeljau fischen will: ja ja oh ja!
Sam ist gerade in Rente gegangen. Wir fahren mit seinem kleinen Boot durch den Nebel. Beeindruckend wie er navigiert. Der Nebel ist dicht. Es wird frisch, mit dem großen Motor rauschen wir wie ein Speed Boot über das Wasser. Sam kennt die guten Stellen zum fischen, sagte man mir am Pier. Wir werfen die Haken raus, denn mehr braucht es nicht. Eine lange Leine, Gewicht und Haken. Der Fisch ist meist am Grund in ca. 20–50 Metern. Dann geht es darum immer wieder etwas am Seil zu ziehen (Jigging genannt), um den Fisch anzulocken. Es dauert 30 Sekunden bis einer anbeißt. Innerhalb von zehn Minuten holen wir die zehn Kabeljau rein. Da jeder von uns nur fünf fangen darf, beschließt Sam einige der Kleinen zurückzuwerfen und an der nächsten Stelle Größere zu angeln.
Nach 40 Minuten ist der Spaß vorbei. Wir beide haben einen guten Fang gemacht. Vor allem Sam, er kann mehr behalten und einfrieren. Mir reichen vier Filets. Dazu bekomme ich noch zwei Zungen sowie Bäckchen 😉 Das gibt ein Festschmaus!
Die Frage wo wir den Fisch bei dem Regen zubereiten klärt sich überraschenderweise schnell von selbst. Ein Nachbar kommt vorbei und bietet mir an den Fisch bei ihm im Schuppen zuzubereiten, perfekt. Die Leute sind so extrem gastfreundlich.
Während ich Tatjana aus dem Café abhole, wo sie in Ruhe am Computer arbeiten konnte, hat zu unserer Überraschung die Frau den Fisch für uns angebraten und mit frisch gebackenem Brot für uns angerichtet. Wir genießen den Fang. Zum Nachtisch teilen wir die mitgebrachten Muffins gegen selbstgebackenen Erdbeerkuchen und hören Geschichten von Albert mit Akordionklängen.
Red Bay
Nach drei Tagen lässt der Regen nach. Wir brechen auf in Richtung Red Bay, einem Walfänger Außenposten der Basken im 16. Jahrhundert. Eine rege Wal-Industrie gab es hier. Es sei das früheste, vollständigste und am besten erhalten Beispiel für die europäische Walfang-Tradition. Die Archivarin Selma Barkham, die in den 1970er Jahren begann, in Archiven die Geschichte der Station nach und nach zu rekonstruieren, haben wir diesen Fund zu verdanken. Sie fand Dokumente, die von Reisen baskischer Fischer nach Terra Nova berichten. So wurde Labrador damals in Europa genannt. Ihre Archivfunde führten zur Entdeckung von mindestens vier Schiffswracks in Saddle Island, die heute im Red Bay Visitor Center zu sehen sind.
Inzwischen weiß man, dass in Red Bay Millionen von Fässern an Wal-Öl nach Europa verschifft wurden, das dort vor allem als Lampenöl gebraucht wurde — und sehr wertvoll war. Mehrere hundert Personen und bis zu 25 Schiffe waren an diesem frühindustrieellen Handel beteiligt. Zur Gwinnung des Öls wird das Walfett vom Tier abgetrennt, erhitzt, geschmolzen und in Fässer abgefüllt.
Die im 16. Jahrhundert angesagten Reifenröcke und Korsette wurden aus dem Fischbein des Wals gefertigt. Als Fischbein bezeichnet man das Filtersystem des Wals um Krill, Plankton oder anderes Kleintier aus dem Wasser im Mund zu filtern. Bestehend aus Keratine (wie die Fingernägel beim Menschen), war es wie Plastik von damals. In der Konsistenz ist Fischbein gleichzeitig steif und flexibel, weshalb es historisch für spezielle Zwecke zum Einsatz kam. Kein anderes Material wies seinerzeit dieselben Eigenschaften auf, und so begünstigte die Jagd nach Fischbein den Rückgang der Walpopulation, der beinahe zur Ausrottung der Bartenwale führte. Erst mit dem Ende der Korsettmode um 1915 verlor Fischbein als Motivation für den Walfang seine Bedeutung. Außerdem herrschte Krieg in Europa, sodass die Basken-Schiffe zur Kriegsführung der Franzosen und gegen die England eingesetzt wurden. Nach einem informativen Besuch in der Red Bay Basque Whaling Station, bei dem wir dies alles über die Walfänger-Geschichte erfahren, geht es auf den ‚Walknochen Wanderpfad‘ und zur Aussichtsplattform. Der Nebel umschlingt die gigantischen Knochen, die von der einstigen Produktion an Land liegen – gruselig.
Die Nacht verbringen wir im Vorgarten der Tochter von Albert. Danke Lorinda für die selbst gemachte Rhabarber Marmelade und den eingekochten Seehund. Beides war unheimlich lecker. Es wird sich immer so gut um uns gekümmert, verhungern werden wir hier nicht.
*Auf der Fähre zurück aus Nain(der Artikel folgt) im Norden Labradors lernen wir zwei wissenschaftliche Mitarbeiter der Uni aus St. John’s kennen, welche im Bereich Fischfang tätig sind. Von ihnen erfahre ich, dass das Kabeljau Fischverbot nur den Nord-Osten Kanadas, sprich Neufundland & Labrador betraf, nicht aber den Süden Neufundlands. Die Fischer mussten sich dann auf den Fang anderer Fischarten umstellen, was natürlich nicht einfach war: Küsten-Fischfang anstatt auf weiter See, Heilbutt oder Krabben mit anderen Methoden als Netzen, Fallen anstatt Haken. Dies bedeutete durch schlechtere Fangmengen, die Suche nach neuen Arbeitsplätzen.